Weihnachten vor Kap Hoorn auf einem amerikanischen Schiff mit Kuddels Krawatte |
"Wieso bist du eigentlich auf Facebook mit Claus Röder befreundet?"
fragte mich eines Tages meine Frau. "Macht etwa Facebook jeden Gast, der
eine bestimmte Menge Bier in einer Gaststätte getrunken hat, zum
Freund des Wirts?" "Nein", antwortete ich, "die Sache ist etwas komplizierter."
Es war eine sehr schöne Zeit, als meine Mannschaft an jedem Freitag
(nach einem Punktspiel oder nach dem Training) im Jesteburger Hof
(bei "Röder") einkehrte. Und weil zu dieser Zeit die Sperrstunde noch
ein sehr dehnbarer Begriff war, waren dies häufig recht ausgedehnte
und sehr schöne Stunden.
Es war im Dezember nach dem letzten Punktspiel des Jahres, als wir dort
in diesmal größerer Runde gemeinsam mit der "Blauen Bohne" zusammensaßen.
Die "Blaue Bohne", das waren sehr nette ältere Herren,
ein Schützenverein, der auch regelmäßig freitags
im Schießkeller des Jesteburger Hofs trainierte und an diesem Freitag
Jahresabschluss und Weihnachten feierte.
Als das Gsprächsthema auf die Frage "Was macht ihr denn über Weihnachten"
kam, erwähnte ich, dass ich mit meiner Frau eine Kreuzfahrt von
Buenos Aires nach Valparaiso machen und zu Weihnachten vermutlich vor
dem legendären Kap Hoorn sein werde. Da mischte sich Claus Röder,
Mitglied der "Blauen Bohne" und Wirt des Jesteburger Hofs, ein und
erzählte, dass er in seiner Verwandtschaft einige ältere Herren hätte,
die ganz stolz darauf waren, sich als "Kap-Hoorniers" bezeichnen zu
dürfen, weil sie noch mit einem Großsegler der Reederei Laeisz das
Kap Hoorn umsegelt hatten. Sie trafen sich noch regelmäßig in Hamburg,
als schon längst keine Großsegler mehr fuhren.
"Vor den seemännischen Problemen habe ich auf dem modernen Schiff keine
Angst", erwiderte ich, "aber es ist ein amerikanisches Schiff mit
vornehmlich US-Bürgern als Mitreisende, da erwarte ich schon eine
spezielle, sicher etwas rührselige Weihnachtsfeier. Davor habe ich Respekt
und vorsichtshalber den englischen Text von 'Silent Night, Holy Night'
auswendig gelernt. Ich werde auch versuchen, mir noch eine so schöne
kitschige Krawatte zu kaufen, wie sie Kuddel heute trägt."
Mit Kuddel meinte ich das Blaue-Bohnen-Mitglied Kuddel Meyer, ein leider
viel zu früh verstorbenes Jesteburger Urgestein, den
im Ort wirklich jeder kannte und der zur
Weihnachtsfeier eine sehr bunte Krawatte mit Weihnachtsmann, -engeln und
-sternen trug. Als wir uns nach etlichen schönen Stunden verabschiedeten,
hatte er sie nicht mehr um und legte sie mir um den Hals: "Du hast
ja in diesem Jahr immerhin noch Verwendung dafür."
Unsere Reise verlief wie geplant, auch die Weihnachtsfeier
an Bord. Ich trug natürlich Kuddels Krawatte, die aber deshalb nicht
weiter auffiel, weil über die Hälfte der anwesenden Männer ähnlich
scheußliche Krawatten trugen.
Weil damals ein Internet-Anschluss an Bord noch nicht selbstverständlich war,
schrieb ich am nächsten Tag eine E-Mail an Claus Röder mit dem Bild
als Anhang, das oben rechts zu sehen ist. So kam meine E-Mail-Adresse
in sein Adressbuch und das damals noch junge Facebook nutzte das aus,
uns beiden einen Freundschaftsvorschlag zu machen. "Siehst Du", sagte ich zu meiner
Frau, "eine Facebook-Freundschaft kann manchmal über den Umweg über
Südamerika zustandekommen."
|