VfL Jesteburg
VfL Jesteburg
- Tischtennis -


Erleben, erfahren, erwachen, erschlaffen, ergeben,
erkämpfen, erschöpfend, ergreifend
Paris Brest Paris 2019

(von Stefan Jaks)

Es ist schwer über etwas zu schreiben was man zwar getan, aber auch nach Monaten noch nicht begriffen hat. Worum geht ´s? Es geht um Paris-Brest-Paris (PBP). Eine Radsportveranstaltung. Die älteste der Welt. Erstmals 1885. Sie findet nur alle vier Jahre statt. Weshalb man sie auch die Olympiade des Radsports nennt. Nicht für Profis, sondern für Radfahrer wie Dich und mich. Nicht für jeden - die Rahmenbedingungen sind um einiges anspruchsvoller als normales Radfahren. Man muß dafür ein paar Voraussetzungen erfüllen. Und weil man die Geschichte kennen sollte, um den Mythos um PBP zu verstehen, hier erst einmal ein paar Hintergründe dazu.

Paris-Brest-Paris war ein klassisches Radrennen für Profis und Amateure und wurde erstmals am 6. September 1891 und zuletzt 1951 ausgetragen. Die Strecke führte über ca. 1200 Kilometer von Paris zur am Atlantik gelegenen Stadt Brest und zurück. Beim ersten Mal 1891 nahmen 206 französische Männer teil, und zwar sowohl Profis wie auch Amateure. Nach drei Nächten ohne Schlaf war Charles Terront der Erste, der in 71:22 Stunden die Ziellinie überquerte. Ihm folgten 97 weitere Radfahrer, von denen die Letzten mehr als zehn Tage benötigten. Aufgrund des enormen logistischen Aufwands beschlossen die Organisatoren, das Radrennen nur alle zehn Jahre durchzuführen. In den drei Tagen bis zur Ankunft von Charles Terront herrschte in Frankreich erstmals ein ähnliches Radsportfieber, wie man es später bei der Tour de France erlebt. Aus PBP entwickelte sich aufgrund des großen Interesses auch der Gedanke, eine noch größere Radsportveranstaltung zu veranstalten - nämlich die heutige Tour de France.

1951 erreichten von 34 Profis nur 11 rechtzeitig das Ziel. Der schnellste war Maurice Diot mit 38:55 Stunden, der damit eine bis heute ungeschlagene Rekordmarke setzte. Diot siegte mit einem Sprint gegen seinen Ausbruchskollegen Edouard Muller, nachdem er in Trappes, 22 km vor dem Ziel, auf Muller wartete, der einen Platten reparierte.

Genug der Historie. Wir sind wieder im Jahr 2019. Der Start beginnt in der Regel in der Nähe von Paris, dann hinauf an den Atlantik nach Brest und wieder zurück. Das sind dann 1.200 km. Auf Landstraßen. Im normalen Verkehr. Das dafür maximal zur Verfügung stehende Zeitfenster beträgt 90 Stunden oder 86 oder 80 Stunden. Inklusive allem. Also Radfahren, Schlafen, Essen, und was man sonst noch so in der Zeit zu tun hat. Man muss sich bei der Bewerbung für eines der Zeitfenster entscheiden. Ist man bei Zieleinlauf drüber, ist man raus. Dann heißt es: DNF. Did not finished. Steht dann so auch in den Ergebnislisten. Immer doof, ganz egal was der Grund für DNF war.

Warum fährt man bei PBP mit? Man könnte 100 Fahrer fragen und bekäme mindestens 101 Antworten. Meine Antwort: "Warum nicht?" Egal was die Beweggründe jedes Einzelnen auch sein mögen. In jedem Fall kommt man als anderer Mensch zurück. Klarer, nachdenklich, fokussiert.

Man macht die ganze Zeit nur eins. Man fährt Rad. Sonst nichts. Kein Smartphone, kein Stress, kein Multitasking - nur Radfahren. Der Weg ist das Ziel. Man kommt runter. Es geht nur um eins, um Rad fahren. PBP zu fahren ist eigentlich gar nicht so schwierig. Gut, es ist lang. Und man fährt mindestens einmal durch die Nacht. Aber sonst geht es eigentlich relativ geradeaus. Man bewältigt auf der Strecke etwas über 10.000 Höhenmeter. Das ist auf die lange Strecke nicht so viel. 2019 hatte ich in der Schweiz beim Alpenbrevet Platin auf 270km in 13 Stunden gute 7.000 Höhenmeter zu bewältigen. Die eigentliche Herausforderung bei PBP ist, dass man nicht wirklich planen kann, was da auf einen zukommt. Dazu die mentale Situation. Wie kommt man durch, wie kommt man klar, was macht der Körper, das Material?

Wie bin ich auf PBP gekommen? In das Langestreckenfahren bin ich zufällig reingerutscht. Ich hatte schon vor Jahren bei längeren Radveranstaltungen (Fichkona 640km in max 24 Std, oder Wattwurm 320km in 11 Stunden) immer wieder von anderen gehört, dass sie bei PBP dabei waren. Oder Trikots mit der Aufschrift Audax Allemagne gesehen. Aber 1.200km zu fahren? Eigentlich nicht so spannend, dachte ich mir. Bis mir letztes Jahr klar wurde, dass die nächste Veranstaltung 2019 und dann wieder erst 2023 stattfinden wird. Wenn nicht 2019, wann dann? Altersbedingt wäre also 2019 eine gute Wahl. Ich begann mich Anfang 2019 damit zu beschäftigen und merkte schnell, dass es da einiges zu beachten galt. Es beginnt schon mal damit, dass man sich nicht einfach bei PBP anmelden kann. Man muss sich qualifizieren. Über sogenannte Brevets, die in fast jedem Land auf der Welt in zT mehreren Landesverbänden veranstaltet und absolviert werden. Meistens begrenzt auf maximal 100 Teilnehmer. Man muß in jedem Fall 1 x 200km, 1 x 300km, 1 x 400km und 1x 600km offiziell gefahren sein. Nur wer alle diese Brevets erfolgreich innerhalb eines bestimmten Zeitfensters absolviert hat, kann sich dann bei PBP registrieren und auf einen Startplatz hoffen. Aber das ist nicht alles. Man muss im Jahr vor PBP diese Brevets gefahren sein, um einen von ca. 6.500 Startplätzen zu ergattern. Das war ja nun nicht mehr möglich. Der HH Audax Verantwortliche, Claus Czycholl, meinte aber zu mir, ich solle einfach mal fahren, das würde schon funktionieren. Dann ist ja gut. Immerhin stand Claus vor seiner 8. PBP Teilnahme! Den 200er bin ich in HH gefahren, den 300er mußte ich wegen Planungsunfähigkeit meinerseits in Aachen fahren (das wäre dann eine andere Geschichte), den 400er und 600er wieder in HH. Dazwischen habe ich immer mal auf der offiziellen Webseite von PBP geschaut, wie viele Startplätze schon vergeben waren. Und es waren in kurzer Zeit schon viele. Ganz viele. Zu viele! Es war absehbar, dass ich zu spät dran war. Sch… Die ganze Vorfreude, Recherche, Training, - für die Katz? Kerstin fand das auch nicht lustig, denn der bisherige Aufwand hatte doch schon einiges an Zeit gekostet. Naja, ich hatte mich irgendwann abgefunden und bin dann noch den 600er gefahren. Just zu der Zeit kam dann auf diversen PBP - Seiten das Gerücht auf, dass die Organisatoren darüber nachdenken würden eventuell ein paar Startplätze nachzuschieben. Das klang ziemlich unwahrscheinlich - denn das gab es in der Geschichte von PBP noch nie.

Aber einige Wochen später haben die Organisatoren dann tatsächlich 1.500 Startplätze zusätzlich dazu gegeben. Nach kurzem Nachdenken und Rücksprache mit meiner Liebsten habe ich dann die Registrierung vorgenommen. Peng! Startplatz bestätigt. Startzeit Sonntag, 17Uhr. Zeitfenster 80 Stunden. Große Freude. Kerstin hat mir eine Unterkunft in der Nähe vom Startort gebucht, und ich konnte meine Vorbereitungen weiter vorführen. Was nimmt man mit? Wie laufen die Kontrollen ab? Wie ist die Verpflegung? Welche Taktik? Auf was muß man achten? Hunderte von Erfahrungsberichten hatte ich durchgelesen. Es war klar, dass es zwar Empfehlungen gibt - man aber eigentlich doch auf alles vorbereitet sein muß. Das sah dann bei mir so aus: neben den Radklamotten am Körper noch ein Langarmtrikot, ein zweites Kurzarmtrikot, eine zweite Rennradhose, kurze und lange Handschuhe, Regenjacke, Werkzeug, ein Ersatzmantel, drei Ersatzschläuche, 3 Gaskartuschen für die Minipumpe, Hirschtalgsalbe, 8 x Fresubin Flüssignahrung, 10 Müsliriegel, 10 Energy-Gels, 2 Protein Riegel, 3 Akkus, Frontlampe, Rücklicht, Windjacke, beschichtete Aluminiumrettungsfolie, 2 Paar Radsocken, Armlinge, Beinlinge, ein Minirucksack, eine kleine Tasche am Oberrohr, eine Satteltasche mit einem Volumen von 12 Liter. Und meine Rennmaschine. Mein Cerveló S5.

Die Anfahrt:

Weil ich am Donnerstag vor PBP noch eine Firmenveranstaltung in Köln hatte, konnte ich die Anfahrt auf zwei Etappen machen. Also alles gepackt, dann nach Köln, dort Firmenveranstaltung, am Freitag Frühstück im Hotel und dann ab Richtung Rambouillet, dem offiziellen Startort. Rambouillet hat eine geschichtsträchtige Vergangenheit, liegt 50 Kilometer südwestlich von Paris in der Nähe von Versailles und ist als Privatresidenz von Ludwig XVI. von Frankreich bekannt, der das Schloss im Jahr 1783 erworben hatte. Mit kurzen Zwischenstopps und einer entspannten Fahrt von D nach B nach F und dort auf der Route Nationale bis zum Hotel war es eine entspannte Fahrt bei schönem Wetter. Das sollte laut Wetterbericht auch so bleiben, was für Langstreckenrennen besonders für die Motivation wichtig ist. Vier Jahre vorher soll es drei Tage lang ununterbrochen geregnet haben.

Paris-Brest-Paris

Nach dem Einchecken und Inspizieren meines Zimmers durfte ich dann einen Reisebus voller spanischer PBP Teilnehmer bestaunen plus noch mindestens zwei dazu gehörigen Transporter, in denen deren Räder untergebracht waren. Nach einem guten Abendessen im Restaurant und einer gut durchgeschlafenen Nacht, freute ich mich auf das Frühstück. Blöd nur, dass der Blick aus dem Fenster einen verregneten Eindruck machte.Und blöd, dass die spanischen Kollegen schon vor mir da waren. Das Frühstücks-Buffet war nämlich - leer. Absolut leer. Die Angestellten kamen mit dem Nachliefern nicht mehr nach. Nachdem ich dann doch noch an etwas Essbares rangekommen bin, habe ich mich auf den Weg zum Startort, dem Schloß Rambouillet, gemacht, um die Gegend auszukundschaften.Im Wesentlichen handelt es sich bei dem Schloß um historische Gebäude, mit einem riesigen schönen Parkgelände. Weil der Regen nicht nachließ habe ich gleich die Registrierung mit den Startunterlagen erledigt. Das war ein absolut professioneller Ablauf. Man muß zunächst mit seinem Rad zur technischen Kontrolle, wo es auf einwandfreien Zustand und vor allem auf funktionierendes Licht vorne und hinten kontrolliert wird. Ist man da erfolgreich durch, darf man mit der entsprechenden Bestätigung sein Rad in einem bewachten Bereich abstellen, dann zu seinem Landesbereich gehen, wo man sich mit Personalausweis und Startberechtigung ausweist, um dann die Startunterlagen und vor allem den Stempelpaß in Empfang zu nehmen. Das alles lief so entspannt und begleitet von so vielen freundlichen Menschen ab, dass sich schon jetzt eine stimmungsvolle Vorfreude auf die kommenden Tage einstellte. Und vor allem die verschiedenen Nationalitäten der Teilnehmer. Viele kannten sich wohl schon von früheren Veranstaltungen. Logisch, die Franzosen waren zahlenmäßig am stärksten vertreten. Und die Italiener, die immer da sind, wenn es um Radfahren geht. Aber auch Teilnehmer aus Bulgarien, Rumänien, Portugal, Skandinavien, USA und Kanada, Argentinien, Brasilien, Japan, Korea und Indien, Hongkong, Macao, Philippinen, uwm. Der Wahnsinn. Und die Räder. Stahlrenner aus den 70ern, wilde Konstruktionen mit Kupferrohren an den Lenkern, an denen Licht und Radcomputer angebaut waren und Klappräder - ja Klappräder. Ich kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Und so langsam wurde mir klar, welchen Stellenwert PBP in der Radsport Welt hat. Am Nachmittag gab es dann noch ein Treffen aller deutschen Teilnehmer. Ein netter Haufen, über 600 Teilnehmer. Deutschland war dieses Mal die nach Teilnehmern zweitstärkste Nation. Der Älteste war Claus aus HH mit 76 Jahren, der Jüngste 18 Jahre. Überhaupt scheint Langstrecke eher was für ein fortgeschrittenes Alter zu sein. Bei PBH 2019 lag der Schnitt der Teilnehmer bei 42 Jahren.Der Regen hatte mittlerweile ganz aufgehört, und ich machte mich wieder auf den Weg zum Hotel. Abendessen gab es dann im benachbarten Restaurant, danach ging ich auf dem Zimmer noch einmal meine gesamte Ausrüstung durch. Startnummern am Rad befestigt, die letzten Kleinigkeiten in die Satteltasche gepackt, den kleinen Rucksack mit Dingen bestückt, auf die ich auf dem Rad schnell zugreifen mußte, mit der besten aller Frauen telefoniert und dann schlafen gegangen. Mit dem Gedanken „Hoffentlich regnet es morgen nicht“ bin ich dann eingeschlafen. Am nächsten Morgen - wo waren die Spanier? - schön gefrühstückt, nochmal die Ausrüstung durchgegangen, alles ins Auto verstaut, ausgecheckt und dann zum Startort, wo ich im Schloßpark auf einer ausgewiesenen Parkfläche meinen Wagen abstellte. Es ging jetzt schon zu wie im Bienenschwarm. Ich versuchte noch etwas im Auto zu schlafen. Der Plan war, nach dem Start um 17Uhr, solange es ging die erste Nacht durchzufahren.

Der Start

Unglaublich. Ein vielschichtiges Stimmengewirr. Hunderte von Radfahrern und Räder. Zig Wohnmobile. Und Sonnenschein. Und nervös. Aufstellung im Block E. Komisch, dass hier alle möglichen Kollegen mit ihren Startnummern stehen, aber keiner mit E? Antworten kann mir von den anderen Teilnehmern keiner geben. Bis mir einer sagt, ich soll einfach nach vorne gehen. Guter Tipp. Da war auch mein Startblock E. Puh, noch 10 Minuten. Noch mal per WhatsApp mich mit Kerstin ausgetauscht und Fotos gemacht. Die Sonne scheint. Vor dem Start noch die Startkarte vorlegen, die bekommt den ersten von hoffentlich weiteren 13 Stempeln, und dann werden 200 Block E Fahrer pünktlich um 17.00 Uhr auf die Strecke geschickt. Die erste Gruppe ging um 16Uhr an den Start. Die letzte Gruppe am Montag um 12 Uhr.

Sonntag, 17.00Uhr; 0km - Rambouillet:

Endlich, es geht los, nervös und aufgeregt und gut gelaunt. Wie wird es ausgehen? Kann ich das schaffen? Schnell sind wir aus dem Städtchen raus, begleitet von den Anfeuerungsrufen der zahlreichen Menschen an den Straßen. Ein großartiges Gefühl, das uns die ganze Zeit begleiten wird. Unsere Gruppe legt ein gutes Tempo vor, ein Schnitt von 32km/h für die ersten 100km spricht Bände. Blöd nur, dass es kaum Führungswechsel gibt. Vorne waren wir immer nur eine Gruppe von 10 Fahrern, die sich abwechselten, die anderen ließen sich schön durch die hügelige Landschaft ziehen. Mit ein paar Deutschen, einem Portugiesen und mit ein paar Amerikanern gibt es nette Wortwechsel. Mein Plan war, die ersten 217km durchzufahren. Nur den Stempel abholen. Und Wasser nachtanken. Insgesamt sind 13 solche Kontrollstellen anzufahren, und mindestens den Stempel muß man abholen. Fehlt auch nur ein Stempel, wird PBP nicht gewertet. Keine Ausnahme.

Sonntag, 21.00Uhr; 118km - Mortagne-au-Perge:

Das ist nur eine inoffizielle Verpflegungsstelle. Viele halten hier an. Ich auch. Beide Wasserflaschen auffüllen. Weiterfahren.

Montag, 00.50Uhr; 217km - Villaines-La-Juhel:

Stempel- und Verpflegungsstelle. An jeder dieser Kontrollstellen gibt es die Möglichkeit, sich kostenpflichtig zu verpflegen. Mit einem unglaublich großen Angebot wie Suppe, Obst, Salat, warmes Essen, Fleisch und Fleischlos, Joghurt, und und und. Zu jeder Tages- und Nachtzeit. Alles von Freiwilligen organisiert. Im Schichtbetrieb. Drei Tage und 3 Nächte lang. Ob man die Zeit an den Kontrollstellen zum Essen, zum Verweilen, zum Schlafen, zum Regenerieren oder zum Reden nutzt, bleibt jedem Fahrer selbst überlassen. Immer, wirklich immer, kam es einem vor, als ob an den Kontrollstellen auch zeitgleich ein Volksfest standfinden würde. Ich gönne mir einen Kaffee und einen Kuchen. Freundliche Helfer und Zuschauer, die einem den richtigen Weg zeigen oder unter Klatschen ein „Bon Voyage „oder „bon route“ zurufen. Unglaublich diese Stimmung und Begeisterung. Hier herrscht Rennradbegeisterung. Überall. Ich fahre weiter durch die Nacht. Irgendwo taucht dann in einem kleinen Dorf ein beleuchteter Stand mit zwei Frauen auf. Mutter und Tochter. Es gibt Kaffee, Kuchen, Süßigkeiten. Sie wechseln sich ab, sagen sie, und wollen die ganzen drei Tage diesen Service bieten. Wie schon die letzten Male. Merci! Die Nacht lässt sich gut fahren. Einzelne Fahrer und Grüppchen werden überholt, oder überholen mich. Kurze Schrecksekunde, als ich mit einer Gruppe durch eine Ortschaft einfahre, ein anderer Fahrer in einer Straßenverengung kein Platz macht und ich in vollem Tempo auf einen Bordstein auffahre. Bei Vollcarbon-Rennrädern keine gute Idee. Ich kann weiterfahren, bin aber irgendwie über die veränderte Sitzhaltung verwundert. An der nächsten Kontrollstelle erkenne ich, dass der Lenker sich etwas nach unten verschoben hat. Das ist schlecht, weil eine veränderte Sitzpositionen auf Langsteckenrennen das dümmste ist, was man machen kann. Ich nehme mir vor, bei der nächsten Kontrollstelle den Werkstattservice zu nutzen.

Montag, 4.31Uhr; 309km - Fouréres:

In der Turnhalle der Kontrollstelle gibt es eine Werkstattecke, wo mich eine Französin mit holländischem Akzent fragt, wie sie helfen kann. Offensichtlich ist sie vom Fach, denn sie hat gleich das richtige Werkzeug zur Hand. Gemeinsam stellen wir die ursprüngliche Lenkerposition wieder her. Klasse Service. Dass sie eine Oberschenkelprothese trägt, habe ich erst bei der Verabschiedung bemerkt. Ich kaufe mir etwas zum Essen und zu trinken und sitze dabei zwischen schlafenden oder aufgedrehten Mitfahrern. Die Stimmung ist gut.Der Tag bricht an, das Wetter ist schön, die Mitfahrer gut gelaunt. Verwunderung lösen bei mir allerdings die Radfahrer, die am Straßenrand liegen, aus. Ich hatte von anderen Mitfahrern in der Nacht erfahren, dass es ganz normal sein, bei Müdigkeit rechts ran zu fahren und mitten in der Pampa zu schlafen. Dass man es sich auf den zahlreichen Verkehrsinseln bequem macht, ist aber wohl eher eine Eigenart der Asiaten. Den Grund dafür konnte ich nicht in Erfahrung bringen. Wohl aber, dass über die Hälfte der asiatischen Teilnehmer nicht ins Ziel kamen. DNF, Dit Not Finished. Der häufigste Grund dafür waren die relativ kühlen Nächte. Die Teilnehmer aus Indien, China, Japan kannten Nachtemperaturen von bis zu 5°C. gar nicht und waren dafür schlecht oder gar nicht ausgerüstet.

Montag, 7.05Uhr 360km - Tinteniac:

Die erste Nacht ist geschafft. An der Kontrollstelle ist jetzt Frühstück mit Kaffee, Brötchen, Croissants und Kuchen angesagt. Ich fühle mich immer noch gut. Als ich wieder auf der Straße bin, bemerke ich nach einigen Kilometern, dass die Kontrollleuchte von meiner Schaltung anschlägt. An meinem Cerveló S5 ist eine elektronische Schaltung verbaut, die mehrere Vorteile bietet und eigentlich keinerlei Nachteile hat. Das gilt aber nur, solange der Akku geladen ist. Das wird einem dann beim Ausfall der Schaltung deutlich gemacht. Ein Schalten ist dann nicht mehr möglich. Und genau das sollte mir das rote Blinken anzeigen. In der Regel reicht der Akku noch für 100 Schaltvorgänge. Ich brauche also eine Ladestation.

Montag, 10.50Uhr 445km - Loudac:

An der Kontrollstelle erst einmal den Stempel holen. Dann essen: Nudeln, Salat, Suppe, Kuchen, Wasser. Beim Mechanikerstand frage ich nach einer Ladestation für die elektrische Schaltung. Für meine Version ist leider keine vorhanden. Dann muß ich darauf hoffen, bei der nächsten Kontrollstation mehr Erfolg zu haben, sonst bekomme ich ein großes Problem.

Montag, 14.00Uhr; 488km - St Nicolas:

Geheimkontrolle. Dass Geheimkontrollen kommen, ist klar. Nur nicht wo. Damit will man möglichen Betrügereien und Abkürzern vorbeugen. Auch hier gilt es zuerst wieder einen Stempel abzuholen. Beim Mechanikerstand bekomme ich die gute Nachricht, dass man für meinen Akku die passende Ladestation hat. Ok, die ungeplante Stunde zusätzlich bekomme ich schon rumgebracht. Am besten mit Essen. Und dann auf die Wiese legen und etwas dösen. Danach geht es mit vollem Akku weiter Richtung Brest.

Montag, 16.05 Uhr; 521km - Carhaix-Plouguer:

Die Kontrollstelle bietet in der Festhalle eine feste Küche mit Tischen. Aber das Restaurant ist überlaufen. Im Außenbereich gönne ich mir zwei Sandwiches. Dann geht es auch schon weiter.

Montag, 22.00Uhr; 610km - Brest:

Nach ca. 28 Stunden und etwa 600km kann ich die Brücke von Brest sehen. Halbzeit. Ein erhebendes Gefühl, wenn man von oben auf die Stadt zufährt und weiß, dass man die Hälfte der Strecke geschafft hat. Auf der Brücke angekommen, muß man einfach anhalten. Ein Pärchen macht ein Foto von mir. Danach zieht es sich noch einige Kilometer bis zur Kontrollstation. Jetzt erstmal tüchtig was zum Essen besorgen und Reserven aufbauen - ich will soweit es geht, durch die Nacht fahren. Meine Stimmung ist gut, es ist trocken. Und ich bin gut in der Zeit. Ca. 10 Stunden habe ich auf meine Maximalzeit von 80 Stunden als Vorsprung herausgefahren. Also Zeit für eventuell ungeplante Pausen. Und die sollte ich im Folgenden auch noch ziemlich brauchen.

Dienstag, 04.50 Uhr; 693km - Carhaix-Plouguer:

Kontrollstelle. Mich übermannt jetzt nach der zweiten Nacht der Schlaf. Ich bin auf der Suche nach einem Plätzchen zum Schlafen. Nach etwas Suchen finde ich einem Nebenraum, gleich neben der Küche. Hier lege ich mich auf ´s Ohr. Zurechtgelegte Pappkartons von den Helfern, auf dem Boden, halten die Kälte ab. Andere Fahrer haben die Schlafmöglichkeit auch schon entdeckt. Besser als gegenüber von den Toiletten, wo man aufpassen muß, nicht über schlafende Mitfahrer zu stolpern. Eine Steckdose finde ich auch. Dort kann ich Radcomputer und Licht aufladen. Radschuhe ausziehen, noch in meine Regenjacke einwickeln und ruckzuck bin ich eingeschlafen. Mein Wecker holt mich 3 Stunden später wieder in den Alltag. Kurz frischmachen und alles wieder zusammenpacken. Zum Frühstück gönne ich mir Kaffee und eine Portion Nudeln. Die Tische sind gefüllt mit schlafenden Mitradlern. Erschöpfte Mitfahrer stierten aus tiefen Augen, die Anstrengungen sind bei vielen jetzt schon unübersehbar. Ich muss aufpassen, dass ich an den Kontrollstellen keine Zeit vertrödel. Draußen habe ich zuerst keine Orientierung und muss mein Rad suchen. Nachdem ich einige Reihen abgelaufen bin, steht es plötzlich vor mir. Computer anschließen, und dann fahre ich auch schon weiter. Auf der Strecke bekomme ich Hunger und habe Lust auf ein zweites Frühstück. In einem kleinen Dorf stehen vor einem Caffè einige Räder mit PBP-Startnummern am Straßenrand. Das sieht doch gut aus. Es gibt frische Croissants und duftenden Kaffee. Inmitten von Arbeitern und abgekämpften Radoneuren in der Normandie. Was für ein Bild.

Dienstag, 13.29Uhr; 783km - Loudeac:

Stempeln, essen, kurz ausruhen. Das Übliche. Schmerzen am Hintern. Druckschmerz. Nicht gut, eigentlich ganz schlecht. An der Kontrollstelle lasse ich mir viel Zeit. Vielleicht gibt es die Möglichkeit zu duschen. Gerüchten nach soll es auch richtige Betten geben. Schlafen ist aber wegen dem enger werdenden Zeitfenster für mich keine Option. Aber duschen. Für 5€ bekomme ich einmal Seife und ein Einmalhandtuch. Das Duschen ist nach über 2 Tagen eine Wohltat. Ich ziehe eine neue Radhose an und wg den Schmerzen am Hintern darüber die zweite Radhose. Vorher trage ich tüchtig Hirschtalg auf die maladen Hautstellen auf. Ein letzter sehnsüchtig Blick auf die Betten, und dann geht es wieder nach draußen. Ich gönne mir im Restaurant der Kontrollstelle ein üppiges Essen und auch eine ungeplante Ruhepause. Irgendwann geht es dann wieder aufs Rad. Ich hoffe, dass zwei Radhosen den Druck auf den Hintern für die nächsten Stunden verringern.Die Schmerzen sind leider nach einigen Kilometern wieder da. In aufsteigender Reihenfolge: Hintern, Achillessehne, Knie. Den Schmerz am Knie kenne ich. Vor 3 Jahren bei Fichkona hatte ich das auch schon mal. Es gibt Gründe dafür. Eines der Dinge, die man bei Langstreckenrennen nicht tun sollte, ist längere Zeit dicke Gänge zu treten. Dadurch kommen hohen Belastungen auf die Knie. Besser und effizienter sind Trittfrequenzen von mind. 80 Umdrehungen. Das habe ich wohl die letzten Stunden nicht beachtet. Das ist schlecht. Der Schmerz kommt nämlich vom überstrapazierten Außenband. Sich schonen, ist aktuell keine Option. Da hilft nur, kleine Gänge fahren. Was dann aber den Hintern wieder mehr belastet. Aber leider gibt es am Knie keine Besserung. Trotzdem. Weiterfahren. Dann beginnt die Achillessehne zu zwicken. Die Achillessehne ist eine der am schlechtesten durchbluteten Sehnen unseres Körpers. Eine Massage fällt idR aufgrund des Schmerzes aus. Eine Spritze ist nicht wirklich zu empfehlen. Normalerweise benutze ich eine Zahnbürste. Ja genau. Damit ganz leicht und kreisend die Achillessehne massieren. Mehrfach am Tag. Dabei wird die Durchblutung ohne schmerzhafte Behandlungen angeregt und regeneriert innerhalb weniger Tage. Das ist jetzt keine praktikable Lösung. Die Schmerzen werden zu stark.

Dienstag, 19.22Uhr; 869km - Tinteniac:

Ich schreibe Kerstin und gebe ihr den aktuellen Stand über mein Wohlbefinden. Während ich vor dem Behandlungsraum warte, telefoniere ich mit Kerstin. Sie versteht es, mir Mut zuzusprechen. Ich mache mir Sorgen, ob die Schmerzen chronisch werden. Dem Physiotherapeuten, der Vor-Ort zur Verfügung steht, versuche ich mein Problem klar zu machen. Er versteht leider kein Englisch oder Deutsch. Ich kein Französisch. Nachdem wir uns mit Handzeichen über meine Probleme ausgetauscht haben, legt er los. Ok, er wird ja wissen, was zu tun ist. Und weil mein Knie auf der rechten Seite auch schmerzt, verwendet er dafür die gleiche Methode. Zweimal Tapeverband und ein Salbenauftrag, später entlässt er mich wieder. Und es fühlt sich wirklich gut an. Prima, ab aufs Rad. Und Vollgas. Und richtig auf die Tube drücken. Eine Stunde später merke ich, dass das ein Fehler war. Das Knie meldet sich wieder. Es wird zur Quälerei. Die Schmerzen kommen nicht nur, sie sind auch stärker als vorher. Und es tritt keine Besserung ein. Ich kann nicht mehr. Mitten in der Nacht. Ich fahre jetzt deutlich langsamer, um das Knie weniger zu belasten. Kerstin hatte ich schon geschrieben, dass es kritisch wird. Irgendwann gegen 23.00Uhr steige ich ab. In einer kleinen Ortschaft setzte ich mich in eine Bushaltestelle und telefoniere mit Kerstin, dass ich abrechen werde. Es geht nicht mehr. Sie redet mir gut zu. Sie sei unterwegs nach Paris und will mich im Ziel begrüßen. Tut mir leid, das wird nichts. Sie lässt nicht locker, ich solle es einfach versuchen. Na gut. Dann versuche ich an Ort und Stelle etwas zu schlafen und mal schauen, ob es besser wird. Mitten in Frankreich, in einer Bushaltestelle, eingewickelt in Alufolie, das Rennrad neben mir, auf dem Dorfplatz in einem kleinen Ort. Eine Stunde später wache ich wegen der Kälte auf. Fünf Grad sollen es gewesen sein. Nach zwei Stunden stehe ich auf. Mit denselben Schmerzen. Ok, das wars dann. Ende. Im Falle eines Abbruchs, muss man bei PBP selbst schauen, wie man zurück zum Ziel kommt. In der Regel mit der Bahn. Also weiterfahren, bis der nächste Bahnhof kommt. Bis dahin habe ich Zeit mir die Schlagzeile für ´s Wochenblatt zu überlegen. Im Schneckentempo geht es von einem Ort zum nächsten. Bahnhöfe gibt’s hier nicht. Also weiterfahren. Es ist eher ein weiterrollen. Aber für mich geht es eh um nichts mehr. Die Knieschmerzen sind nicht mehr so gravierend.

Mittwoch, 02.08Uhr; Fourgeres:

Bei der Kontrollstelle mache ich ein „Es geht nicht mehr“ Selfie. Der Typ auf dem Foto sieht erschreckend aus. Ich gehe essen und will dann die Möglichkeiten in Sachen Zugfahrt klären. Leider Fehlanzeige, einen Bahnhof gibt es hier nicht. Ich muß also weiterfahren. Irgendwann morgens bekomme ich Hunger. Vor einem Lebensmittelladen in einem kleinen Ort stehen zwei Rennräder. Leider keine Bäckerei. Ein typischer kleiner französischer „Tante Emma“ Laden, hier gibt es nur Baguette, Käse, Orangensaft. Gegessen wird draußen an einem Bistrotisch. Bißchen trocken das Ganze. Den Rest packe ich ein und befestige es als Marschverpflegung auf das Oberrohr. Ich fahre weiter.

Mittwoch, 8.48Uhr; Villanines-La-Juhel:

Irgendwie bin ich doch bis hierher gekommen. Ich habe Hunger. Ich gönne mir ein üppiges Essen. Glücklicherweise gibt es hier eine von insgesamt vier medizinischen Versorgungen, die über die gesamte Strecke von PBP verteilt sind. Ich melde mich dort an und darf wohl wegen meinem mitleidserweckenden Aussehen gleich auf eine Behandlungsliege. Ich schildere mein Problem mit derAchillessehne. Vor lauter Schmerzen habe ich die Schmerzen am Knie ganz vergessen. Der Physiotherapeut macht ein unsicheres Gesicht und ruft den Arzt. Der kommt aus dem „ohh“ und „hmm“ gar nicht mehr heraus. Ein deutschsprachiger Franzose wird herangerufen, der französische Arzt diagnostiziert und der Physiotherapeut bekommt Instruktionen. Den Ratschlag, die letzten Kilometer einfach etwas langsamer zu fahren und die stark angeschwollene Achillesferse zu schonen, klingt für die restlichen 300km etwas zu einfach. Getaped und gesalbt kann ich mich mit weitaus weniger Schmerzen bewegen. Den Gedanken mit der Rückfahrt per Zug verschiebe ich jetzt erstmal wieder. Ich setze mich aufs Rad und will erstmal nur bis zur nächsten Kontrollstelle. Unterwegs rechne ich aus, wie es mit meinem Zeitfenster aussieht. Ich habe noch einen Zeitpuffer von 25 Minuten. Wenn ich das langsame Tempo beibehalte und mich bei den beiden noch kommenden Kontrollstellen nicht zulange aufhalte, kann ich es noch unter 80 Stunden ins Ziel schaffen. An einer kleinen Steigung überholt mich ein Teilnehmer und fragt, ob ich Probleme hätte, weil ich ständig meine Achillessehne massieren würde. Er gibt mir etwas von seiner Schmerzsalbe ab und denTipp, dass ich die Pedalplatten etwas nach hinten verschieben sollte. Weil ich aber keinen passenden Inbusschlüssel dabeihabe und auf der Strecke auch kein anderer Teilnehmer zu sehen ist, geht das nicht. Der nächsten Mitfahrer, ein Franzose, kann mir leider nicht helfen. An einem Anstieg applaudiert mir ein älteres Ehepaar. Denen versuche ich meinen Wunsch nach einem 3er Inbusschlüssel zu verdeutlichen. Der vorbeifahrende Franzose wirft ihnen ein paar Worte zu, was dazu führt, dass der Herr mein Problem versteht und mich in seine Scheune auf dem riesigen Grundstück bittet. Dort kann ich mit dem passenden Werkzeug die Schuhplatten umbauen. Das bringt wirklich Erleichterung. Wieder lasse ich mich hinreißen, mit Vollgas weiterzufahren. Das Knie spüre ich gar nicht mehr. Mit über 30 Sachen geht es über die Straßen. Die verlorene Zeit aufholen. Ein großartiges Gefühl. Aber Gefühle halten nie lange. Es läuft wieder nur eine Stunde gut. Die Schmerzen sind wieder da. Wieder langsam fahren. Das Zeitpuffer schmilzt jetzt zusammen. Es wird warm, die Sonne brennt. Ich werde müde. Schlafen. Ich leg mich rechts am Straßenrand auf die Wiese und döse an einer befahrenen Landstraße eine Stunde lang. Als ich wieder losfahre, liegen neben mir drei weitere schlafende Fahrer.Einige Kilometer weiter haben Mutter und Tochter vor ihrer Hauseinfahrt etwas zum Trinken und ein paar Kleinigkeiten zum Essen aufgebaut. Einige Fahrer haben sich hier schon eingefunden und wollen gar nicht mehr aufstehen. Irgendwie geht es mir nach der einen Stunde Rast doch wieder besser. Kurz Wasser auffüllen, einen Kaffee trinken, weiterfahren. Es bleibt anstrengend.

Mittwoch, 15:22; Mortagne-Au-Perche:

Ich schaue nur noch auf die gefahrene Zeit und meinem Zeitpuffer. Ich bin immer noch im Zeitfenster von unter 80 Stunden. Ich hole mir meinen Stempel, besorge mir etwas zum Essen und versuche hier nicht zu viel Zeit zu verbringen. Weiter geht’s. Es macht gerade nicht viel Spaß, die Strecke zieht sich, nur wenige Fahrer sind gerade auf der Strecke. Vielleicht hätte ich an der letzte Kontrollstrecke warten sollen, bis sich eine Gruppe bildet, mit der ich dann mitfahren könnte. Ich komme an einer privaten Verpflegungstelle vorbei, die vom lokalen Lions-Club organisiert wird. Schokolade, Cola, Kekse und Livemusik - das Angebot nehme ich gerne an. Die Bezahlung ist freiwillig. Die Einnahmen gehen alle in ein soziales, örtliches Projekt - da kann man dann ruhig etwas großzügig sein.

Mittwoch, 20:31; Deux:

Kurz vor dem Ziel, aber meine Motivation ist nicht gut. Wieder mit Kerstin telefoniert und meine Stimmung geschildert. Sie spricht mir Mut zu. Ich will nur noch ins Ziel. Egal wie. Jetzt gebe ich nicht mehr auf. Das Zeitpuffer beträgt noch 2 Stunden. Essen, Trinken, die Gedanken schweifen lassen. Um mich herum gibt es nur wenige freundliche Gesichter. Ich muß mich zusammenreißen, dass ich hier nicht versacke. Draußen auf dem Radplatz höre ich zwei deutsche Stimmen und hänge mich an die beiden dran. Wir fahren in das Abendrot. Es wird kalt. Es zieht sich jetzt. Eine Umleitung führt uns auf einen langen Anstieg. Es fehlt die Orientierung. Rätselraten, wie weit es noch zum Ziel ist. Hinweisschilder sind auch nicht zu sehen. Wir sind doch schon über 40km gefahren, wo ist das denn, das Ziel? Aber dann kommt es. Das Ortschild von Rambouillet. Das setzt nochmal Kräfte frei. Wir fahren jetzt in den Park, dann ein paar hundert Meter hoch über Kopfsteinpflaster. Da vorne ist das Ziel. Da vorne steht mein Schatz. Mir kommen die Tränen. Wir drücken und küssen uns. Ich muss noch über den Zielstrich. Wahnsinn. Unbeschreiblich. Mir fehlen die Worte. Unter 80 Stunden. Kaputt. Ich gebe das Rad ab. Gebe meine Stempelkarte ab und bekomme die Finisher Medaille überreicht. Mir tut alles weh. Aber Hunger habe ich. Kerstin und ich nehmen uns am Buffet noch was Warmes. Wir erzählen uns gegenseitig unsere Erlebnisse. Wir sind beide ziemlich aufgedreht. Ich will ins Bett. Wir gehen durch die Nacht zum Auto und packen erst einmal alles rein. Dann ab zum Hotel, das Kerstin den Tag zuvor schon bezogen hat. Ich versorge meine Knie noch mit Sportsalbe und schlafe sofort ein.Am nächsten Morgen, wir haben wohl zu lange geschlafen, gibt es im Hotel kein Frühstück mehr. Im nahegelegenen Discounter besorgen wir uns Zutaten für ein Frühstück im Freien. Danach fahren wir noch mal nach Rambouillet zum Sightseeing. An allen Ecken sieht man noch Teilnehmer, die dieses Erlebnis ebenfalls ausklingen lassen. Vor vier Jahren sind einige deutsche Teilnehmer mit dem Rad an- und abgereist. Die Cafés sind überfüllt, auch im Außenbereich ist kaum etwas frei. Wir machen es uns bei dem schönen Wetter im Park gemütlich und genießen die Ruhe. Auf der Heimfahrt haben wir noch einen Zwischenstopp in Reims mit der beeindruckenden Kathedrale gemacht. Irgendwann später waren wir dann wieder zuhause. Ein großartiges Erlebnis ist zu Ende. Die Gedanken und Erinnerungen sind immer noch parat. Wahnsinn.

Fazit:

Herausfordernd: Die Nächte durch zu fahren. Gegen den Schlaf anzukämpfen. Die aufkommenden Halluzinationen verarbeiten. Auf regelmäßiges Essen und Trinken achten.

Beeindruckend: Die Menschen, die Begeisterung, die Anfeuerungsrufe. In jedem Dorf gab es Plakate zu PBP, dekorierte Fahrräder, Feste und Parties, private Verpflegungsstände. Ein Stand mit Schlafecke war Tag und Nacht besetzt, es gab Kaffee, Wasser, Kuchen, Brote, Käse und Schulterklopfen. Was die lieben Menschen dafür wollten? Ein Foto, von mir!

An einer langen Landstraße hatten Mutter und Tochter einen Tisch an die Straße gestellt mit Wasser und Kaffee. Was sie dafür wollten? Eine Postkarte, von mir! An anderer Stelle, nach ca. 400km gab es vom örtlichen Bäcker vier Tage und Nächte rund um die Uhr Crêpes, Wasser und Kaffee. Was er dafür wollte? Ein Foto, mit mir und meiner Startnummer! Oder ein Stand vom „Lions“ Club. Mit einem Ü70 als DJ, der die ganze Zeit Akkordeon spielte. Kuchen, Wasser, Kaffee, Schokolade. Was sie dafür wollten? Eine kleine Spende für ihr soziales Projekt.

Respekt: vor den unglaublich vielen und freundlichen Helfern an den Kontrollstellen.

Anerkennung: vor allen Teilnehmern aus allen Ländern.

Glück: Keine Pannen, keine Stürze, keine Verletzungen, meine Frau

Verpflegung: Eigen-Proviant: 10 Energy Gel, 8 x fertige Maltodextrin/Mineralien-Mischung für die Trinkflasche, 10 x Müsli Riegel, 3 x Traubenzucker, 2 x Protein Riegel, Fremdverpflegung an Kontrollstellen und unterwegs: 120€.

Zahlen, Daten, Fakten:

  • Teilnehmer gemeldet: 6.674
  • Teilnehmer gestartet: 6.418
  • Weiblich: 514
  • Männlich: 5.904
  • DidNotFinished DNF: 1.790
  • Quote DNF: 27,9%
  • Disqualifiziert: 24
  • OutOfTime: 245
  • Altersgruppe mit der geringsten DNF-Quote: 50-59 Jahre
  • Kontinent mit der größten DNF-Quote: Asien

Persönlich:

  • TotalTime: 78:33:25
  • TimeOnBike: 55
  • Schlaf: 7:30 Stunden
  • Km/h Total: 14,384